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"Menschen sind mehr als eine Ressource"

Chief People Officer Sabine Brandl über ihre Möglichkeiten, Frauen im Technikbereich zu fördern


Gastautor
2. Oktober 2024
Society
Lesezeit: 15 Min.

Interview erstmalig erschienen in ROBOTIK UND PRODUKTION

Auch wenn Sabine Brandl in ihrer Funktion als Personalleiterin bei KUKA eine Führungsposition in einer eher klassisch mit Frauen besetzten Position innehat, kann sie im Gespräch mit ROBOTIK UND PRODUKTION doch eine neue Perspektive auf das Thema aufzeigen. Denn sie hat die Möglichkeit, aktiv dafür zu sorgen, dass mehr Frauen eine Chance auf eine Position in einem Technikkonzern wie KUKA haben. Außerdem hat sie die richtigen Mittel an der Hand, zu analysieren, welche Faktoren es immer noch schwierig für Frauen im MINT-Bereich machen und wie man diese ausschließen kann.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Erzählen Sie uns doch erst einmal etwas über Ihre Position bei KUKA. Was machen Sie als Chief People Officer?

Sabine Brandl: Der Begriff Chief People Officer etabliert sich aktuell und immer mehr Unternehmen nutzen diese Bezeichnung. Früher hätte man sicher Chief HR Officer dazu gesagt. Wir haben uns bei KUKA aber ganz bewusst dafür entschieden, die Menschen in den Vordergrund zu stellen. Wir wollen sie nicht mehr als Ressource begreifen, sondern als Individuen, mit denen wir auf eine gemeinsame Reise gehen.

In meiner Abteilung lege ich viel Wert auf das Thema Unternehmenskultur. Ich will eine Unternehmenskultur schaffen, in der sich Führungskräfte und Mitarbeitende willkommen fühlen und das Gefühl haben, sie können sich verwirklichen und aktiv zum Unternehmenserfolg beitragen. Auf der anderen Seite beschäftigen mich natürlich auch die klassischen Personalthemen, wie Gehaltsabrechnungen, Arbeitszeiterfassung und das Finden und Einstellen passender Personen, und zwar global für die KUKA-Gruppe, inklusive Swisslog und Swisslog Healthcare.

Das Tolle an meinem Arbeitsalltag ist, dass kein Tag dem anderen gleicht. Ein Thema, das mich aktuell sehr beschäftigt, ist: Wie finden wir die richtigen Talente am richtigen Ort? Denn auch wir bei KUKA haben mit dem Thema Fachkräftemangel zu kämpfen. Es geht derzeit darum, sich von dem Konzept zu verabschieden, überall den Experten zu finden. Vielmehr müssen wir Mitarbeitende finden, die die Bereitschaft haben, sich weiterzuentwickeln. Darüber hinaus bin ich täglich viel im Austausch z.B. mit unseren Robotikteams, damit wir gemeinsam die passenden Personalstrategien entwickeln können. Angenommen wir brauchen jetzt einen neuen CEO in Malaysia, überlegen wir also konkret, ob wir diesen über einen Headhunter einstellen, ob wir lieber im lokalen Arbeitsmarkt suchen oder Talente innerhalb unserer Organisation finden.

Sabine Brandl, CPO KUKA Group: "Einer der Gründe, warum es weniger Frauen in der Technologiebranche und dort vor allem in Führungspositionen gibt, sind immer noch Rollenstereotype."

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Fähigkeiten und Qualifikationen mussten Sie für diese Position mitbringen?

Die in meiner Position wichtigsten Fähigkeiten sind ganz klar Empathie und soziales Einfühlungsvermögen. Das sind aber auch die am schwersten zu erlernenden Fähigkeiten. Die muss man für diesen Job schon in weiten Teilen mitbringen.

Eine weitere wichtige Fähigkeit für meine Position lautet Führungskompetenz. Es geht nicht nur darum, eine globale Organisation über 50 unterschiedliche Länder hinweg zu führen, sondern viel mehr darum, ob ich es mit meiner Führungskompetenz schaffe, Mitarbeitende und andere Führungskräfte in die richtige Richtung zu bewegen, besonders wenn ich eine bestimmte Unternehmenskultur etablieren will.

Als drittes möchte ich auf das Thema Change Management eingehen: Aus meiner Sicht werden Transformationsprojekte immer wichtiger, z.B. in der Forschung und Entwicklung oder in der Produktion, aber auch neue Organisationen oder andere Arten der Zusammenarbeit betreffend. Bei all diesen Transformationsprozessen verlassen sich die Mitarbeitenden zurecht darauf, dass wir sie dabei an die Hand nehmen. Wir müssen ihnen zeigen, was die Veränderung für sie bedeutet und wie die Zukunft aussehen wird. Hier geht es nicht einfach nur darum, ein Zukunftsbild an die Wand zu werfen, sondern um aktive Begleitung.

Der vierte wichtige Kompetenzbereich sind die analytischen Fähigkeiten. Insbesondere wenn wir über das Thema Frauen und Diversity sprechen, können wir anhand unserer Daten gut sehen, ob es z.B. eine Benachteiligungsform gibt, derer wir uns bisher noch nicht bewusst sind. Das betrifft etwa den bereinigten Gender Pay Gap. Außerdem können wir anhand der Karrierepfade der Mitarbeitenden ermitteln, ob es bestimmte Karrierestufen gibt, die Männer schneller erreichen als Frauen. Meines Wissens nach gibt es immer noch wenige Unternehmen, die das heute schon analytisch aufbereiten können. Hier muss zunächst die Transparenz geschaffen werden, diese Benachteiligungen zu erkennen, um dann die entsprechenden Abstellmaßnahmen zu ergreifen.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Herausforderungen mussten Sie auf dem Weg in Ihre jetzige Position meistern?

Auf meinem bisherigen Weg haben mich vor allem drei Herausforderungen maßgeblich geprägt. Da ist zunächst meine Zusammenarbeit mit BMW. Dort habe ich drei Jahre lang zum Thema Resistenzen gegen Veränderungen bei der Adaption von Innovationen am Beispiel von E-Mobilitätskunden geforscht. Das war eine sehr spannende Zeit, einerseits aus der Uni heraus zu forschen, aber andererseits auch einen Großkonzern kennenzulernen. Das hat mir sehr dabei geholfen, Verhaltensmuster von Personen zu verstehen, die sie zeigen, sobald größere Veränderungsprozesse eintreten. Resistenzen gegen Veränderungen ist immer wieder ein Thema und vermutlich eines, das mich mein gesamtes Berufsleben lang begleiten wird.

Auf eine sehr prägende Phase blicke ich bei KUKA zurück. In einer Zeit, in der sich das Unternehmen stark verändert hat, hat mich eine Zusammenarbeit nachhaltig gestärkt. Dort hat mich am meisten eine Person geprägt: mein damaliger Mentor. Das war der ehemalige CEO unserer Robotersparte, der mir ein großes Vorbild war, mir aber auch sehr viel Vertrauen geschenkt hat, Dinge auszuprobieren, um mich selbst zu beweisen.

Die dritte prägende Herausforderung findet sich in meinem Privatleben. Seit ich selbst zwei Kinder habe, ist mein Verständnis für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wesentlich größer geworden. Das ist ein Thema, das man als Personalerin mitdenken muss. Ich sehe es als große Bereicherung, nun genau zu verstehen, was Mitarbeitende wollen und brauchen, wenn es um dieses Thema geht.

All diese Herausforderungen zu meistern, geht nur mit guter Unterstützung. Es ist wichtig, Personen im nahen Umfeld zu haben, die genau das tun. Hinzu kommt, dass ich ein weibliches Vorbild hatte, an dem ich mich orientieren konnte. Was mir in einem männerdominierten Umfeld sehr geholfen hat. Darüber hinaus geht es nicht ohne ein bestimmtes Arbeits-Ethos und die Bereitschaft, viel zu geben, um sich selbst und die Firma weiterzuentwickeln.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Was glauben Sie, warum Positionen im MINT- bzw. Technikbereich immer noch selten mit Frauen besetzt sind?

Ich arbeite ja derzeit in einer eher Frauen-dominierten Fachabteilung, daher beziehe ich die Frage auf den Konzern als Ganzes. Mit rund 20 Prozent haben wir bei KUKA eine Frauenquote, die deutlich über Industriedurchschnitt liegt. Aber wir müssen natürlich ehrlicherweise sagen, darauf kann man sich nicht ausruhen, die muss man weiter ausbauen. In der ersten Ebene unter dem Vorstand haben wir einen Frauenanteil von etwas mehr als 17 Prozent. Das finde ich für dieses Karrierelevel außergewöhnlich. Und das zeigt auch, dass unsere beiden Vorstände, die männlich sind, das Thema Frauen und Diversität wirklich fördern.

Ich denke, einer der Gründe, warum es weniger Frauen in der Technologiebranche und dort vor allem in Führungspositionen gibt, sind leider immer noch Rollenbilder bzw. -stereotype. Die Entscheidung für oder gegen einen MINT-Beruf fällt schon bei der Wahl des Studiums oder der Ausbildung. An dieser Stelle verliert die Industrie schon jede Menge geeignete Kandidatinnen für MINT-Berufe, weil sie sich einen solchen Werdegang nicht zutrauen.

"Ich befinde mich in einer Position, die es mir erlaubt, Policies und Guidelines so zu ­gestalten, dass eine diverse ­Arbeitskultur entsteht." Sabine Brandl, CPO KUKA Group

Ein weiterer Grund ist der Mangel an geeigneten Vorbildern. Wie viele Frauen haben wir in Führungsverantwortung, die wirklich Strahlkraft entfalten können und junge Mitarbeiterinnen motivieren, eine entsprechende Führungskarriere anzustreben und sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zuzutrauen? Weibliche Vorbilder können zeigen, es geht beides, Frauen müssen sich nicht für das eine oder das andere entscheiden. In der Funktion als Personalleiterin habe ich die Möglichkeit, ganz bewusst Frauen auf Führungspositionen zu besetzen, um Signalwirkungen zu erzeugen.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch für mich persönlich ein zentrales Thema bei dieser Fragestellung. Hier geht es aber nicht nur darum, was das jeweilige Unternehmen tun kann, sondern auch, welche Infrastruktur der Staat zur Verfügung stellt, wenn es z.B. um Betreuungsmöglichkeiten und -zeiten geht. Unternehmen und Staat müssen besser Hand in Hand arbeiten. Insbesondere wenn wir den großen Teil der Frauen, die aufgrund der Umstände gezwungen sind, in Teilzeit zu arbeiten, wieder mehr in den Arbeitsmarkt integrieren wollen. Laut einer Erhebung von 2023 arbeiten rund 700.000 Personen in Teilzeit, die mehr arbeiten würden, wenn die entsprechenden Betreuungsangebote vorhanden wären. Da ist es nicht nur mit Homeoffice oder Gleitzeit getan, da müssen auch andere Rahmenbedingungen geändert werden.


Unternehmen und Staat müssen Hand in Hand arbeiten, wenn wir den großen Teil der Frauen, die aufgrund der Umstände gezwungen sind, in Teilzeit zu arbeiten, wieder mehr in den Arbeitsmarkt integrieren wollen.

Sabine Brandl, CPO KUKA Group

ROBOTIK UND PRODUKTION: Was tun Sie und Ihr Unternehmen, um Frauen im Technikbereich zu fördern? Wie unterstützen Sie es, dass Frauen zunehmend auch höhere Führungspositionen erreichen?

Wir haben hier am Standort Augsburg z.B. eine eigene KiTa, die sehr gut angenommen wird. Die damit eingesparten Wege zu den Betreuungseinrichtungen sind nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus gehen wir ganz bewusst auf Karrieremessen für Frauen, um diese für Technikberufe zu begeistern. Und natürlich sorgen wir in unserem öffentlichen Auftritt dafür, weibliche Role Models vorzustellen. Ein Beispiel ist unsere #HomeofRobotik-Kampagne. Hier zeigen wir Frauen in Technikberufen, um jungen Frauen, die gerade vor der Entscheidung stehen, welches Studium oder welche Berufsausbildung sie ergreifen wollen, die Angst vor dem Technologiebereich zu nehmen.

Außerdem befinde ich mich in einer Position, die es mir erlaubt, Policies und Guidelines so zu gestalten, dass eine diverse Arbeitskultur entsteht. Ein solches Umfeld zu schaffen, liegt mir sehr am Herzen. Dazu gehören z.B. auch Mentoring-Programme, aber in der richtigen Unternehmenskultur, die Mitarbeitenden das Gefühl gibt, sich entfalten und weiterentwickeln zu dürfen, und zwar unabhängig vom Geschlecht. Diese Unternehmenskultur lässt sich meiner Meinung nach nur im Zusammenspiel von Führungskraft und Personalabteilung erreichen.

In der Vergangenheit hatten unsere Führungskräfte am Ende eines Einstellungsprozesses häufig eine Liste von fünf potenziellen Mitarbeitern in der Hand. Hier sage ich ganz bewusst Mitarbeiter, denn in der Regel waren am Ende nur Männer auf dieser Liste. Dann ist es unmöglich, eine Frau auf die betreffende Stelle zu besetzen. Ich muss also dafür sorgen, dass am Ende auf dieser Liste ein diverses Spektrum zu finden ist, das der Führungskraft überhaupt die Möglichkeit gibt, eine Stelle z.B. mit einer Frau zu besetzen. Als Personalverantwortliche kann ich etwa Listen von Headhuntern ablehnen, die nur aus Männern bestehen. Geht es um Positionen, die klassischerweise rein weiblich besetzt sind, akzeptieren wir übrigens genauso wenig rein weibliche Vorschlagslisten.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Was raten Sie jungen Menschen, die Ambitionen haben, einen Weg in Richtung MINT einzuschlagen?

Ich rate ihnen, ihre Scheu vor MINT-Berufen abzulegen und keine stereotypen Rollenbilder anzunehmen. Es muss auch nicht immer ein Studium sein. Die Industrie bietet sehr viele spannende Ausbildungsberufe. Jungen Frauen und Männern, die den Einstieg in eine Karriere im MINT-Umfeld planen, rate ich konkret, sich einen passenden Mentor zu suchen, unabhängig davon, ob es ein Mentoring-Programm im Unternehmen gibt oder nicht. Daraus lässt sich unglaublich viel Mehrwert ziehen, wie ich aus persönlicher Erfahrung sagen kann.

Das Interview führte: Frauke Itzerott
Ressortleiterin Robotik und Redakteurin für ROBOTIK UND PRODUKTION

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