„Wenn ein Trend kommt, haben wir etwas dazu in der Schublade“
Volker Schmirgel, Leiter des KUKA Technology- und Innovation Center im Gespräch über Forschung und die Zukunft der Robotik
Der Automatisierungsmarkt zählt wohl zu den dynamischsten Branchen – und neue Technologien wie Augmented Reality oder Künstliche Intelligenz eröffnen unzählige neue Möglichkeiten. Das KUKA Technologie- und Innovationszentrum (TIC) hat solche Entwicklungen genau im Blick. Denn hier wird an der Robotik von morgen geforscht, Hand in Hand mit renommierten Universitäten und Einrichtungen auf der ganzen Welt. Wir haben mit dem Leiter Volker Schmirgel über die Aufgaben des TIC gesprochen, über den Hype um Künstliche Intelligenz und warum das richtige Timing manchmal am wichtigsten ist.
Weitsicht und Offenheit für neue Technologien sind in der Automatisierungsbranche enorm wichtig. Aber wohl kaum eine Abteilung blickt so weit über den „Tellerrand der Industrie“ wie die Forschung. Kannst du uns die Aufgaben des KUKA Technology und Innovation Centers umreißen?
Volker Schmirgel: „Wir beschäftigen uns damit, wie die Robotik und die Märkte der Zukunft aussehen könnten. Das bedeutet, wir schauen uns um, erkennen neue Trends und verproben deren Wert für KUKA. So bauen wir Kompetenzen in neuen Themenfeldern auf. Dabei sind wir auch in vielen Forschungsprojekten aktiv, sowohl auf Bundesebene, aber auch in EU-Projekten oder bayerischen Projekten. Auf diese Weise sind wir genau wie Universitäten in Forschungsthemen eingebunden und profitieren von diesen Erkenntnissen. In diesem Rahmen beschäftigen wir auch Bacheloranden und Masteranden bis hin zu Doktoranden, die neue Entwicklungen mit unserer Robotik verproben. Dabei sind wir sehr international aufgestellt, bei uns im TIC arbeiten junge Talente aus ganz Europa und der ganzen Welt, beispielsweise aus Südamerika.“
Und was passiert mit den gewonnenen Erkenntnissen?
Volker Schmirgel: „Die Erkenntnisse des TIC kommen im nächsten Schritt in den Entwicklungsarbeiten für KUKA Produkten und Lösungen zur Anwendung. Denn wir sind auch Ansprechpartner für die KUKA Entwickler und bereiten Technologien für die Serienentwicklung vor. Zusammenfassend kann man sagen: Wenn ein Trend kommt, haben wir etwas dazu in der Schublade.“
KUKA investiert sehr viel in Forschung und Entwicklung und beschäftigt allein in Augsburg einige Hundert Entwicklerinnen und Entwickler. Warum ist es sinnvoll, darüber hinaus im Forschungsbereich auch noch in externen Förderprojekten aktiv zu sein?
Volker Schmirgel: „Der Austausch zwischen Wirtschaft und universitärer Forschung ist wertvoll, von diesem Wissenstransfer profitieren beide Seiten und wir lernen viel aus der Zusammenarbeit mit den Partnern. Wir haben auch viele ehemalige TIC-Mitarbeitende, die heute Mitarbeitende oder sogar Professoren an renommierten Universitäten sind, wie dem MIT in den USA. Sie prägen mit ihrem KUKA Hintergrund die gesamte Robotik-Welt. Und wir als Automatisierungsunternehmen können Universitäten und Instituten neue Impulse geben oder eine Plattform, um Ideen und Theorien praktisch zu verproben.”
Kannst du ein konkretes Beispiel nennen, wie dieses Verproben aussehen kann?
Volker Schmirgel: „Nehmen wir als Beispiel den KUKA Innovation Award. Seit genau 10 Jahren bietet KUKA jedes Jahr mit dem Robotik-Wettbewerb jungen Talenten die Möglichkeit, ihre Konzepte kostenlos mit KUKA Robotik umzusetzen und auf einer großen Industriemesse dem Publikum zu präsentieren. Dabei werden die Finalteams während des gesamten Wettbewerbs von KUKA Expertinnen und Experten begleitet. Die Ergebnisse sind wirklich beeindruckend. Die Sieger von 2022 beispielsweise haben mittlerweile ein Start-Up gegründet und in Zusammenarbeit mit KUKA ein roboterbasiertes Medizinprodukt in Kliniken gebracht, für die frühzeitige Diagnose von rheumatoider Arthritis. Beim diesjährigen Innovation Award, dessen Finale auf der Hannover Messe stattfand, drehte sich alles um Robotik für Mittelstand und Handwerk. Das sind heute noch sehr dünn automatisierte Bereiche und Fachkräftemangel sowie der demografische Wandel treffen diese Branchen. Hier kann der Einsatz von Robotik sehr helfen, steht aber noch relativ am Anfang.
Das Gewinnerteam aus Belgien hat die Jury mit einer innovativen und benutzerfreundlichen Cobot-Applikation mit hohem Reifegrad für kleine und mittlere Unternehmen überzeugt. Und wir sind direkt in die nächste Runde gestartet: beim Innovation Award 2025 geht es bei der Medical Robotics Challenge 2.0 um innovative Konzepte für die Zukunft von Medizin und Gesundheitswesen. Das sind ebenfalls Bereiche, die stark unter Druck stehen und in denen der Einsatz von modernen Technologien enormes Potenzial bietet.“
Als TIC werft ihr also einen Blick in die Zukunft der Robotik, auch über die klassische industrielle Produktion hinaus. Welche Themen stehen derzeit denn besonders im Vordergrund?
Volker Schmirgel: „Das wichtigste Thema derzeit ist eindeutig die Verbindung von KI mit Robotik. Da gibt es ganz viele Facetten und wir haben derzeit etliche Forschungsprojekte, um zu verstehen, was da möglich ist. Es gibt viele vielversprechende Ansätze, aber, und das muss man auch ehrlich sagen, auch noch viele Hürden und Limits. Ein Beispiel: In der Robotik ist unser Ziel absolute Zuverlässigkeit und Genauigkeit, gerade in der industriellen Produktion oder in der Medizintechnik. KI ist derzeit aber immer noch sehr prüfungsbedürftig. Im Gegensatz zur „klassischen Robotik“ muss der Mensch da in korrigierender Funktion immer mit dabei sein. Aber auch wenn wir hier in vielen Bereichen noch am Anfang stehen: KI zusammen mit Robotik hat wahnsinniges Potenzial, ein überzeugendes Gesamtsystem zu werden, mit mehr Produktivität und einfacherer Nutzung.“
Neue Themen untersuchen und verproben kann auch Sackgassen und Misserfolge bedeuten. Wie sind da eure Erfahrungen?
Volker Schmirgel: „Natürlich gibt es auch Themen, die in der Forschung viel getrieben werden, aber der Markt entwickelt sich nicht so wie die technischen Möglichkeiten. Nur weil eine Technologie prinzipiell überzeugt, heißt es noch nicht, dass der Markt in der Praxis schon bereit dafür ist oder Kundeninteresse zu einem bestimmten Zeitpunkt da ist. Dann muss man akzeptieren, wenn Dinge nicht so angenommen werden. Manchmal haben wir etwas vorgedacht und nicht mehr weiter verfolgt und Jahre später sind die Anwendungen dann irgendwo als Produkt aufgetaucht. Ich nenne jetzt keine Details, aber es zeigt: Das richtige Timing ist wichtig.“
Zur Person: Volker Schmirgel begann nach Abschluss seines Elektrotechnik-Studiums mit Robotik-Fokus an der RWTH Aachen 2006 seine Karriere bei KUKA. Während seiner beruflichen Laufbahn bei KUKA verantwortete er Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Robotik-Bereich, unter anderem die Markteinführung des ersten kollaborativen Roboters LBR iiwa oder die Entwicklung der Soft- und Hardware für ein neues Robotersystem für die Mensch-Roboter-Kollaboration. Seit Oktober 2023 leitet Volker Schmirgel das Technologie- und Innovationszentrum von KUKA.